Am letzten Tag des Jahres fahre ich zum Fluss und lege meine Hand ins Wasser. Es ist nicht eiskalt, es hat ungefähr Oktoberkälte. Ich streife durch die Uferböschung, das Rot der kahlen Weidenzweige und das Beige des trockenen Schilfs. Im Kies drehe ich die Steine um. Ich habe hier noch nie einen grünen Stein gesehen, kann mir aber vorstellen, heute einen zu finden.

An Silvester mache ich nichts. Ich mache sogar den Fehler, um 22:30 Uhr mit einem Projekt anzufangen, das ich lange aufgeschoben hatte. Nach 20 Uhr zu arbeiten oder irgendwas erreichen zu wollen ist gegen meine Regeln. Ich habe sehr strikte Regeln, um mich davor zu bewahren ein unentspannter Mensch zu werden. Es läuft dann auch total frustrierend.

Am ersten Tag des neuen Jahres gehen wir auf einen Berg. An der Bergflanke traben Gämse durch kniehohes papiernes Gras. Die Tiere sind gut genährt oder haben ein dichtes Winterfell, auf die Entfernung ist das schwer zu sagen. Es ist so warm wie sonst im Oktober oder März, das letzte Stück legen wir im T-Shirt zurück und ich kriege Kopfweh, weil ich schnelle Temperaturwechsel nicht vertrage.

Mehrmals kommen Freunde zu Besuch, wir sitzen um den Tisch, liegen auf dem Teppich und stehen auf der Straße in milder Luft. Der Winter liegt schon weit zurück, die Ziegen des Nachbarn schlafen in der Sonne mit ihren lächelnden Gesichtern. Beim Lernen bin ich in den Kapiteln zu Störungen aus dem schizophrenen Formenkreis angekommen. Es geht voran, dennoch muss ich ab Morgen das wöchentliche Pensum erhöhen. 2023 starten zwei Zusatzausbildungen, zwei Lerngruppen und voraussichtlich werde ich eine Weile in einer Einrichtung hospitieren. Ich kann es kaum erwarten, die Erkenntnisse und Fertigkeiten in meine Arbeit zu implementieren.

Den grünen Stein finde ich noch am letzten Tag des Jahres. Er liegt in der Bucht im flachen Flussbett, wo ich im Sommer häufig saß und dem Wasser zusah, wie es um mich herum vorbeifloss. Das Wasser hat mir geholfen. Viele Stunden darin zu sitzen. Eine leibliche Erfahrung zu machen, bevor ich verstehe, warum ich genau diese Erfahrung will. Unverhältnismäßig viel Zeit damit zu verbringen. Das Wasser so lang zu fühlen bis diese eine verkrustete Stelle in mir flüssig wird, nachgibt, die Kontrolle verliert. Das ist das Gegenteil von mir. Es ist das, was ich wollte, ohne es wollen zu können.